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FACILISIS VOLUPTAT EST VELIT EGESTAS DUI ID

Schichten des Wirklichen

Malerei von Alexander Raymond

Man schaut über Klippen und Steilküste auf weithin offenes Meer. Darüber breitet sich lichtblauer, mal auch tief roter Himmel aus, teils mit majestätisch aufragenden Wolkenformationen. Dann aber auch: Von Straßenlaternen grell ausgeleuchtete Bäume, das Blattwerk flirrend in eigenartig fehlfarbenem Gelb, wie fahles Glühen vor düsteren Häuserblocks. Alexander Raymond zeigt mit beidem Ansichten von menschenleerer Landschaft, die dennoch nach Sujet und Stimmung denkbar unterschiedlich ausfallen: Hier die nächtliche Großstadt, dort gleißend taghelle Natur. Auch Unterschiede in der malerischen Umsetzung fallen ins Auge: Dort klarfarbige Konturen, beinah légerhafte Gedrängtheit der Form, hier düsteres Mischlicht und schemenhafte, dennoch starke Farbeindrücke, gekreuzt zu etwas realistisch Unwirklichem. In dieses Spektrum bindet Raymond teils Figuration ein. Er stellt Menschen in bühnenhaften, oft irreal wirkenden Szenen vor Augen oder zeigt sie in porträtartiger Prägnanz („Amray“, „C“), aber auch in absurd deformierten (Selbst)Porträts („Mergus“). Mal sind es bloße Referenzfiguren, oftmals besetzen sie den Bildraum aber auch geisterhaft, luftig, in traumgleichen Überblendungen („Strand“), bilden so in mehreren Schichten Felder von Imagination und Erinnerung aus. Das trifft insbesondere für viele seiner Bilder von Zirkusartisten zu („Prinzessin“), taucht aber auch in anderen Zusammenhängen auf („Laterne“). Stets geht es Raymond ums Verschmelzen verschiedener Ebenen von Wirklichkeitsauffassung zu einer zusammenhängenden Bildrealität. Dafür findet er im Laufe der Werkentwicklung ganz unterschiedliche, auf den ersten Blick vielleicht widersprüchliche Lösungen: Das mündet mal in atmosphärisch dichten Landschaftsräumen, dann aber auch in Figuration bei klarer Sachlichkeit mit deutlich surrealer Einfärbung. 

Doch all das, was dieser ersten annähernden Beschreibung nach disparat, stilistisch widersprüchlich scheinen könnte, stammt unverkennbar doch von einer Hand. Das Gemeinsame liegt vielleicht in einer ganz eigenen Form von Realismus, für den Raymond mit verschiedenen Werkgruppen und -phasen immer wieder neue Wege findet. Zu Grundhaltung dieses Realismus gehört zunächst, dass er Motive, so surreal sie zum Teil wirken mögen, stets an Gesehenem entwickelt, zunächst also direkt aus der Anschauung arbeitet – er fertigt Skizzen, aquarelliert oder malt kleinformatige Ölstudien. Dafür macht er sich auf, wechselt den Ort, reist mit Zirkuskünstlern, deren Alltag er zeichnend begleitet, oder er ist in Frankreich unterwegs und malt „plein air“. Oft fängt er aber auch nur das Nächstliegende ein: Immer wieder macht er den Blick aus dem Atelierfenster zum Thema. Und womöglich schaut das Wirkliche aus solchen Bildern, aus den ganz einfachen Sujets, am überraschendsten, auf frappierend fremd-vertraute Art auf den Betrachter zurück.

Im weiteren, an das skizzierende Erfassen anknüpfenden Arbeitsprozess, der auf meist deutlich größerem Format stattfindet, geht es um Verdichtung, um die Suche nach einer Art von Gleichgewicht zum inneren Bild, das sich im Malen erst ausformuliert: Und das bleibt noch stets Glücksfall und Vabanquespiel – es gelingt, wenn das entdeckende Sehen beim Malen mit dem Erinnern des Reellen plötzlich zusammengeht, mühsam erarbeitet und doch stets unerwartet zur stimmigen Formulierung führt. Die liegt nicht notwendigerweise in abbildender Ähnlichkeit. Raymond erreicht solch bildhaftes Gegenwärtigen des Wirklichen bisher auf unterschiedlichen Wegen, experimentiert hier auch. Doch immer geht es ihm darum, zwischen Beschreiben, Verdichten und Erfinden aufs gültige Bild hinzuarbeiten.

Das zeigt sich etwa in Raymonds Landschaftsbildern, gemalt nach Ölskizzen, die er während eines Aufenthalts in der Bretagne anfertigte. Tatsächlich strahlen sie jene Weite, die klare Hitze und pinienduftende Trockenheit aus, die jeder kennt, der in einem heißen Sommer einmal dort gewesen ist. Die Malerei entfaltet etwas Exemplarisches: Es sind Bild davon, wie man sich in dieser Landschaft fühlt, sich darin bewegt, darin ist. Das kommt besonders deutlich in der fünfteiligen Reihe zum Ausdruck, zu der Raymond die Bilder „Insel“, „ohne Titel“, „Roter Stein“, „Le Castel“ und „Pointe de Bihit“ zusammengefasst hat. Auf den mittelformatigen Werken scheint ein alles umflutendes Licht die Dinge zu formen. Doch Raymond löst das nicht in gleißende Impression auf, sondern formuliert die Landschaft über Stilisierung zu dinghafter Präsenz. Felsen etwa wirken stark körperlich, dabei auch eigenartig künstlich: geordnet, überformt, bisweilen deformiert. Hier erstrahlt Natur wie in gefasster Struktur, man meint, sie mit Händen greifen zu können. In „Pointe de Bihit“ zum Beispiel führt Raymond die Darstellung der Wolken in fast Hodler’scher Manier über Farbkontur aus. „Roter Stein“ zeigt Klippen als picassoesque Körper und wie zu fremder Kenntlichkeit entstellt. Wieder anders das eindrucksvolle „Sopor“: Hier eröffnet Raymond detailliert die Nahsicht auf kleines Terrain, zeigt Steine, Gräser, trockenes Kraut. Darüber eine sich dem Fels anschmiegende Pinie, die raumgreifend wie ein Vorhang die Sicht verdeckt. Eine Lücke im linken Bildteil durchbricht die Darstellung von Nahraum, öffnet den Blick zum Meer hin und reißt ihn damit rapide ins Weite.

Seine neuesten, sehr eindrücklichen Bilder zeigen den Blick aus dem Atelierfenster. Man schaut von dort auf die Hamburger Reeperbahn. Das würde man bei diesen stillen, starken Bildern nicht ohne weiteres vermuten: Fast keine Leuchtreklame, keine Menschenströme, kein Amüsierbetrieb ist hier zu sehen. Ähnlich wie bei den Klippen geht auch hier der Blick von oben aus, doch ist er in der Perspektive angeschnitten, reicht nicht bis zur Straße, sondern bleibt distanziert und im Terrain der Bäume und Laternen hängen. Man sieht über die geschäftigen Zonen hinweg, erst jenseits der erahnten Straßenschlucht sind Gebäude auszumachen – merkwürdig monolithisch, dennoch scheinen sie im rotbraun gehaltenen Dunkel zu verschwinden. Winzige Farbtupfer markieren wenige erleuchtete Fenster im nächtlichen Raum. Diffuse Helligkeit verbreitet sich allein durch Straßenbeleuchtung: Zwei hoch aufragende Lampen gießen gelbes Licht über den Bäumen aus. Es wird vom Blattwerk reflektiert und pflanzt sich darin fort. Alles übrige ist ins schemenhaft Dunkle gestellt.

Häufig entfalten Raymonds Bilder eine ebenso einfache wie raffinierte Lichtdramaturgie. Davon zeugt auch das kleine, skizzenhafte Ölbild „Osten“: Über lasierend verwischtem Grün erhebt sich ein weißlich viereckiger Block vor hellblauer, glatter Fläche. An dessen Schnittlinie zum Grün blitzt punktuell gesetztes Hellgelb auf, und man entziffert aus der flüchtig gesetzten Farbigkeit heraus die Glasfassade eines behäbig ins kühle Abendlicht aufragenden Hochhauses, in der sich die untergehende Sonne spiegelt. Das rasch und aus dem Augenblick heraus eingefangene Bild zeigt karge Poesie, die den Betrachter denkbar knapp am verschwindenden Licht entlang führt.

 

Jens Asthoff


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